Hyperaktiver Hund, was tun?

So wird der Hund ausgeglichener
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Manche Hundehalter wissen nicht weiter: Der Hund steht unter Strom, lässt sich schlecht führen, kommt kaum zur Ruhe. Die Tierärztin und Verhaltenstherapeutin Maria Hense hat sich mit dem Thema hyperaktiver Hund beschäftigt und erklärt im TIER.TV-Interview, worauf es im Umgang ankommt.

Ein hyperaktiver Hund kann ein richtiger Unruhestifter sein. Egal in welcher Situation, Bello ist unkonzentriert und will einfach nicht hören.

Der Hund zerrt ständig an der Leine, kläfft oft wild um sich, beißt bei jeder Gelegenheit in den Ärmel und scheint durch jede Kleinigkeit aus der Fassung zu geraten. Bereits ein klingelndes Telefon oder ein neuer Geruch lösen bei ihm Stress aus. Auf Kommandos kann er sich oft gar nicht konzentrieren. „Was für ein schlecht erzogener Hund“, mag sich dabei so mancher denken. Oder auch: „Der scheint wohl zu wenig Bewegung zu bekommen!“ Ein hyperaktiver Hund also, aber was tun? Maria Hense klärt in ihrem umfangreichen Ratgeber zum Thema „Hyperaktiver Hund“ über diese Verhaltensauffälligkeiten auf und fördert das Verständnis für den überdrehten Vierbeiner. Sie beschreibt anschaulich die Ursachen dafür, dass manche Hunde dauernd unter Strom stehen. Ihre gezielten Trainingstipps und ihre „Werkzeugkiste“ können mit etwas Geduld dem Hund zu mehr Ruhe und Gelassenheit verhelfen.

Frau Hense, ist jeder Hund, der an der Leine zieht und sehr lebhaft ist, gleich „hyperaktiv“

Maria Hense: Nein, nicht unbedingt. Jeder Hund hat ein anderes Aktivitätslevel. Wenn der Hund im Vergleich zur gleichen Rasse und Altersgruppe jedoch deutlich lebhafter ist, kann man je nach Symptomen von Hyperaktivität sprechen.

Wie definieren Sie Hyperaktivität, woran erkenne ich als Hundehalter, ob mein Hund tatsächlich ein Hyperaktiver Hund ist?

Maria Hense: Man muss die Verhaltenssymptome genau beobachten: Gerät der Hund durch kleinste Reize in Aufruhr, lässt er sich schwer führen, kann Kommandos vor lauter Ablenkung nicht ausführen oder traut er sich nicht einmal, für eine Weile abzuschalten? Jemand mit Erfahrung erkennt sehr schnell, ob Mensch und Tier unter dem hyperaktiven Verhalten leiden. Um beide zu entlasten, würde ich zur Therapie raten. Man darf jedoch nicht Hyperaktivität oder ADHS beim Menschen auf den Hund übertragen. Hunde funktionieren anders.

Ist Hyperaktivität eine reine Verhaltenssache oder eine Krankheit? Oder ist der hyperaktive Hund vielleicht sogar nur ein Modebegriff?

Maria Hense: Als neurologische Störung ist Hyperaktivität bei Hunden nicht klar definiert, die Auffälligkeit zeigt sich über das Verhalten des Hundes. Als „Modebegriff“ würde ich es nicht sehen. Andere Themen, wie z. B. Aggression oder Angst bei Hunden sind viel gängiger. Ein völliges Randthema ist es allerdings auch nicht, das zeigt schon die Nachfrage nach meinem Buch. Mir ging es darum, ein Bewusstsein für diese Auffälligkeit zu schaffen – ich finde es einfach schade, dass sowohl Halter aber auch viele Fachleute nicht genau wissen, wie man diesen Tieren helfen kann.

Der Hund bellt sehr viel, steigert sich in Erregungszustände, fordert sehr viel Aufmerksamkeit und kommt einfach nicht zur Ruhe – worin sehen Sie die Hauptursachen für hyperaktives Verhalten Hyperaktiver Hund?

Maria Hense: Hier kommen immer mehrere Faktoren zusammen. Die genetische Neigung spielt eine große Rolle, ebenso wie Aufzucht und erste Erfahrungen im Welpenalter. Welpen, die z. B. in völlig reizarmer Umgebung aufwachsen, oder keine ausreichenden Erfahrungen mit ihren Geschwistern machen können, reagieren später oft sehr überreizt. Überhaupt scheinen hyperaktive Hunde keinen „Filter“ zu haben – sie reagieren auf alles in ihrer Umgebung sehr heftig, egal ob Geräusche, Artgenossen, Objekte oder Menschen. Was einen „normalen“ Hund gar nicht interessiert, bringt einen hyperaktiven Hund in Aufruhr. Natürlich spielen auch Erziehung und die Hilflosigkeit des Halters eine Rolle. Manchmal entsteht ein richtiger Teufelskreis: Der Halter reagiert ebenfalls heftig auf Fehlverhalten, gibt unklare Signale oder wird ungeduldig, weil der Hund scheinbar nicht einmal das einfachste Kommando befolgen kann. Das überträgt sich auf den Hund, der dann noch unruhiger wird.

Und was kann ich als Halter dagegen tun? Schließlich ist ein allzu lebhafter Hund, der kaum zur Ruhe kommt, eine ernsthafte Belastung – und der Hund leidet unter Daueranspannung sicherlich ebenfalls….

Maria Hense: Ja, hyperaktives Verhalten belastet den Hund, aber natürlich auch den Halter, der oft an seine Grenzen kommt. Ich rate dazu, zunächst einen Tierarzt aufzusuchen. Es muss abgeklärt werden, ob z. B. Sinnesorgane und Schilddrüse richtig arbeiten. Dann sollte man sich eine Liste mit allen belastenden Situationen machen – also vom Besuch, der angesprungen oder gebissen wird bis hin zum wilden An-der-Leine-Ziehen beim Spazierengehen. Dann sollte man fragen: Wie lassen sich diese Situationen managen oder vermeiden? Grundsätzlich kommt es darauf an, Stress zu reduzieren. Richtiges Verhalten und schwierige Situationen müssen in kleinen Schritten geübt werden.

Haben Sie konkrete Tipps, wie man dem Hund zu mehr Ruhe und Gelassenheit verhelfen kann?

Maria Hense: Körperarbeit ist sehr wichtig. Man kann mit dem Hund z. B. langsam, aber bewusst durch tiefes Laub oder Schnee gehen. Man kann ihn balancieren oder Futter am Boden suchen lassen, das fördert die Konzentration. Oder man lässt ihn ausgiebig schwimmen. Alles, was den Hund körperlich stark fordert, intensiv und langsam ausgeführt wird und auch seine Sinne anspricht, tut ihm gut. Statt immer noch mehr und immer noch schnellerer Bewegung empfehle ich, dem Hund Ruheplätze anzubieten. Manche hyperaktive Hunde schlafen sogar im Sitzen, sie sind so angespannt, dass sie sich nicht einmal hinlegen! Außenreize kann man z. B. durch das Anstellen eines Radios ausblenden. Auch Ruhesignale sind sehr wichtig, entweder als Signalwörter oder geknüpft an einen Platz oder einen Geruch. Der Hund lernt dann: Jetzt darf ich mich entspannen.

Was sollte man aus Ihrer Sicht im Umgang mit einem hyperaktiven Hund vermeiden?

Maria Hense: Man sollte – auch wenn es bestimmt schwerfällt – eigene Unruhe vermeiden. Es ist wichtig, dem Hund ruhig und gelassen zu begegnen. Auch Strafen sind eher kontraproduktiv, denn harte Zurechtweisungen bringen den Hund schnell in ein hohes Erregungslevel. Vielleicht sollte man auch lernen, den Hund mit seinen Eigenheiten zu akzeptieren. Ständige Vergleiche mit dem Nachbarhund fördern nur den Frust. Manchen Haltern hilft deshalb auch die Diagnose: Mein Hund ist hyperaktiv. Damit kann man sich auseinandersetzen, man hat eine Erklärung.

Wie ist Ihre Erfahrung: Kann aus einem Hund, der dauernd unter Strom steht, irgendwann ein ausgeglichener Begleiter werden?

Maria Hense: Ja, ich habe schon viele positive Entwicklungen gesehen. Manchmal, wenn die Ursachen für hyperaktives Verhalten sehr simpel sind, zeigen sich sogar recht schnell Erfolge. Etwa, wenn der Hund jedes Mal in Stress gerät, wenn er an der Leine gehen soll. Das kann man üben! Wie schnell und wie deutlich die Entwicklung jedoch im Einzelfall verläuft, weiß man vorher nicht. Jeder Hund ist anders.

Frau Hense, vielen Dank für das Gespräch!

Fazit: Ein umfangreicher Ratgeber für alle, die einen sehr unruhigen Hund haben und an dieser Verhaltensauffälligkeit arbeiten wollen.

Maria Hense: Der hyperaktive Hund, Animal Learn Verlag, 174 Seiten, 28 Euro.

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