„Es gibt keine grundsätzlich gefährlichen Hunderassen!“ Thomas Baumann, Hundetrainer und Gründer der Dogsworld-Stiftung, spricht im TIER.TV-Interview über Wesenstests für Hunde, die Vorfälle in der Schweiz und die geplante neue Hundeverordnung in Niedersachsen.
Berichte schildern, dass es im Zuge diverser Wesenstests zu Meinungsverschiedenheiten und/oder ungerechtfertigten Ergebnissen seitens der Gutachter gekommen ist. Das zeigt, wie subjektiv der Test gewertet werden kann. Wer ist generell befugt, ein solches Gutachten durchzuführen, und welche Qualifikationen müssen diese Personen vorweisen?
Thomas Baumann: Diese Frage kann deshalb nicht pauschal beantwortet werden, weil die Gefahrhundregelungen in die Kompetenzen der jeweiligen Bundesländer fallen. So gibt es Bundesländer, die bei Wesenstests ausschließlich auf (Amts-)Tierärzte zurückgreifen, andere wiederum setzen Polizeibeamte aus diensthundhaltenden Behörden ein, wieder andere beauftragen Sachverständige oder Trainer im Hundewesen.
Doch gerade, was Qualifikationen anbelangt, sehen wir, dass keine der genannten Gruppierungen eine Vormachtstellung in Anspruch nehmen kann. In Sachsen wurden nach Vorgabe des Innenministeriums Qualifizierungsprüfungen durchgeführt. Diese Prüfungen bestanden rund 20 Personen, wobei jeweils ein Drittel Tierärzte, Polizeibeamte und VDH-Angehörige bzw. Hundetrainer waren. Qualitäts-Kompetenzen liegen in der individuellen Fähigkeit einzelner Personen und nicht in der Berufs- oder Gruppenzugehörigkeit. In einigen Bundesländern wurden überhaupt keine Qualifizierungsprüfungen durchgeführt, was sicherlich bedenklich ist.
In diesem Zusammenhang interessant: Vor wenigen Jahren wurden für einen Jahreszeitraum Statistiken der Bundesländer zur Durchfallquote so genannter Listenhunde veröffentlicht. Dabei reichte die Spanne der Quoten von 2 Prozent in einem Bundesland bis hin zu über 20 Prozent in einem anderen. Dies lässt selbstverständlich Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Vorgehensweisen zu und wirft zudem Kompetenzfragen auf. Daraus ergibt sich auch, dass es keine a priori gefährlichen Hunderassen geben kann!
Herr Baumann, Sie waren im Jahr 2000 maßgeblich am Entwurf des Sächsischen Gefahrhundgesetzes beteiligt und haben die Sächsische Wesensanalyse entwickelt. Muss jeder Halter eines so genannten Listenhundes den Test ablegen oder betrifft es nur bereits aufgefallene, gefährliche Individuen?
Thomas Baumann: Als strikter und bekennender Gegner der Rasselisten konnte ich dazu beitragen, dass in Sachsen die Gefahrhundliste nur aus den drei politisch gewollten Rassen Bullterrier, American Staffordshire Terrier und Pitbull Terrier besteht. Der Test ist grundlegend freiwillig. Wer allerdings den Test nicht durchführen lassen will, muss im Sinne einer Gefährlichkeitsvermutung allerdings mit Auflagen rechen, also etwa Maulkorb- und Leinenpflicht, Sachkundenachweis oder bestimmten häuslichen Vorkehrungen. Hunde, die bereits durch unangemessenes Aggressionsverhalten behördlich auffällig geworden sind, gelten als gefährlich und können nur bei unklaren oder zweifelhaften Sachverhalten einem Wesenstest unterzogen werden.
Laut Dr. Feddersen-Petersen gibt es aus Sicht der vergleichenden Verhaltensforschung keine „gefährlichen Rassen“ geschweige denn „Kampfhunderasse““ – doch in den Medien wird oft ein anderes Bild vermittelt. Das Resultat: In Niedersachsen ist eine neue Hundeverordnung in Planung, die vorsieht, dass alle Hunde mit einer Schulterhöhe von mehr als 40 Zentimetern und mehr als 20 Kilogramm Gewicht in der Öffentlichkeit stets mit Maulkorb an der Leine zu führen sind. Herr Baumann, wie schätzen Sie diese geplante „40/20 Regelung“ ein?
Thomas Baumann: Um ehrlich zu sein, verheerend! Zunehmende Reglementierungen und Einschränkungen nahezu aller Hunde – und deren Halter – sind ethisch und tierschutzrechtlich bedenklich. Ich teile die Auffassung von Frau Dr. Feddersen-Petersen, dass es keine gefährlichen Rassen, sondern nur gefährliche Individuen gibt. Es ist ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, pauschale Diskreditierung in dieser Form durchzuführen. Die gesunde Basis einer funktionierenden Mensch-Hund-Beziehung muss die sachkundige Betreuung des Hundes durch den Zweibeiner sein. Ein guter Ansatz wäre:
- Ein Sachkundenachweise für jeden (!) Hundebesitzer ohne Größen- und Gewichtzuordnung. So können Beißattacken im Vorfeld eingeschränkt bzw. vermieden werden.
- Ein weiterer wichtiger Ansatz ist in der Zuchtselektion zu sehen. Es werden noch immer Hunde zur Zucht zugelassen, von denen im Vorfeld bekannt ist, dass sie eine erhöhte Aggressionsbereitschaft vorweisen.
Dieses genetische Potenzial wird aber von manchen Züchtern häufig einkalkuliert, da äußere Merkmale des Hundes bei Ausstellungen und Körungen wichtiger erscheinen, als Verhaltenseigenschaften. Davon sind im Übrigen auch typische Familienhundrassen betroffen, die nicht im Geringsten mit den typischen Listenhunden in Verbindung gebracht werden.
Schweizer Medien berichteten kürzlich über einen Vorfall mit zwei American Staffordshire Terriern und einem Golden Retriever. Der Am-Staff-Rüde hatte den Golden Retriever-Rüden gebissen. Ein Passant konnte die Hunde mit Hilfe eines Messers trennen, wobei der Am-Staf-Rüden tödlich verletzt wurde. Die an der Beißerei unbeteiligte Am-Staf-Hündin wurde einem Wesenstest unterzogen, den sie bestand, d. h. sie als „nicht gefährlich“ einstufte. Das Zürcher Veterinäramt beschloss dennoch das Tier einschläfern zu lassen. Herr Baumann, Sie sind dafür bekannt, dass Sie mit „Problemhunden“ arbeiten und diese therapeutisch betreuen und desensibilisieren. Wie gerechtfertigt finden Sie die Tatsache, dass bei einem bestandenen Wesenstest dennoch eine Euthanasie (das Einschläfern) in Erwägung gezogen wird?
Thomas Baumann: Der Schweizer Sachverhalt ist mir bestens bekannt, da ich mit dem ermittelnden Polizeibeamten darüber gesprochen habe. Die geplante Hinrichtung der Hündin passt in das derzeitige Schweizer Chaos in Sachen Hundegesetze. American Staffordshire und Co werden durch Medien- und Behördenkampagnen in verschiedenen Schweizer Kantonen rassistisch anmutend verurteilt.
Zum Sachverhalt aus Sicht des ermittelnden Polizeibeamten, der kurz nach dem Vorfall vor Ort gewesen war: An der Rauferei waren insgesamt drei Hunde beteiligt. Ein Golden Retriever, dessen Sozialverhalten als nicht „unbescholten“ gilt und zwei American Staffordshire Terrier, ein ca. zwölfjähriger Rüde und die jüngere Hündin. Nachdem die beiden Am-Staffs das ungesicherte Grundstück verlassen hatten, attackierte der alte Rüde den Golden Retriever, worauf es zu einer Auseinandersetzung kam. Die Hündin war bestenfalls sekundär beteiligt. Über Beißhandlungen der Hündin ist nichts konkret bekannt. Ein hinzukommender Mann griff ein, indem er den Amstaff mit einem Messer so schwer verletzte, dass dieser kurze Zeit später verstarb. Die Hündin wurde nach dem Eintreffen des Polizeibeamten unsicher bellend im Wohnbereich ihres Besitzers aufgefunden. Dabei kam es trotz hoher Erregungslage zu keinerlei aggressiven Offensivhandlungen der Hündin gegenüber dem ermittelnden Polizeibeamten.
Bereits zuvor wurde der Golden Retriever – ohne erhebliche Verletzungen – vorgefunden. Angebliche Beißhandlungen der Hündin gegenüber der Besitzerin des Golden Retriever ließen sich nicht bestätigen. Laut Veterinäramt Zürich handelt es sich bei dem anschließend beschlagnahmten Hund um einen gefährlichen Hund. Kurios, aber: es erfolgten im weiteren Verlauf zwei Sachverständigen-Gutachten, die beide die Hündin als „nicht gefährlich“ deklarierten. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände ergibt sich mit Blick in die Schweiz ein besonders trauriges Bild bezüglich der Entwicklung im Hundewesen.
Mit mir in Verbindung stehende Fachkollegen sprechen von extrem diskriminierenden Zuständen und behördlicher Willkür gegenüber Am-Staff & Co. Die Euthanasie der Hündin wäre bzw. ist unter den gegebenen Umständen ein ethisch und tierschutzrechtlich nicht zu rechtfertigender Akt, der einfach nur traurig stimmt. Hunde können oder sollen dann euthanasiert werden, wenn von ihnen eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit, Leib oder Leben bei Menschen ausgeht. Den Schutz des Menschen erachte ich als höherwertig gegenüber dem Schutz des Tieres.
Aber Hundebesitzer, deren Vierbeiner aggressiv andere Hunde attackieren, sind mit strengen Auflagen zu versehen, um den Schutz der Artgenossen zu gewährleisten. Eine Euthanasie käme für mich bei einer ausschließlich innerartlichen Sozialaggression nie in Frage, zumal geeignete Resozialisierungsmaßnahmen in den meisten Fällen greifen oder auch eine „Entschärfung“ riskanter Situationen durch die Gewöhnung und das Tragen eines Maulkorbes wesentlich tiergerechter erscheinen als eine Tötung.
Lieber Herr Baumann: Vielen Dank für das Gespräch!